Bekleidung Made in Marokko: harte Arbeit für die Öffentliche Hand

Südwind macht auf Arbeitsrechtsverletzungen in der marokkanischen Bekleidungsindustrie und Verantwortung der öffentlichen Hand aufmerksam.
Wien, 26.01.2012. Seit den späten 1980er Jahren hat sich Marokko zu einem wichtigen Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie für den europäischen Markt entwickelt. Produziert wird unter anderem für bekannte Mode-Marken wie Mango oder Zara, aber auch Arbeitsbekleidung, die von europäischen Städten, Gemeinden und Institutionen eingekauft wird. Mittlerweile ist die Bekleidungsindustrie Marokkos wichtigster Industriezweig und schafft viele Arbeitsplätze. Doch die Arbeitsbedingungen sind besonders hart, wie ein aktueller Bericht von der Clean Clothes Kampagne und dem marokkanischen Verein Attawasol belegt, der heute bei einem Pressegespräch in Wien präsentiert wurde.

Schuften für einen Hungerlohn
Dafür wurden ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben und GewerkschafterInnen rund um die Stadt Tanger befragt. Sie berichteten von Arbeitswochen von bis zu 76 Stunden, Gehältern unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, Beschäftigten ohne Verträge oder irgendeiner Form sozialer Absicherung und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen. „Der gesetzliche Arbeitstag hat acht Stunden, aber das wird von keinem respektiert. Es gibt sogar Frauen, die arbeiten 15 Stunden am Tag. In kleinen Fabriken sagen die Bosse: der Kunde hat das Sagen. Das bedeutet, (…) das hat Priorität vor unseren Arbeitsrechten“, kritisierte die marokkanische Gewerkschafterin Fatima Lamah.
Viele ArbeiterInnen gaben an, nicht einmal den Mindestlohn, mitunter sogar weniger als 100 Euro gezahlt zu bekommen. „Den Mindestlohn, 210 Euro pro Monat, zu verdienen ist gut und schön, wenn man keine Miete zahlen muss. Eine bescheidene Bleibe kann in Tanger fast 200 Euro kosten“, so Saida, eine Textilarbeiterin.
Die jüngsten ArbeiterInnen, mitunter auch unter 16 Jahren, werden als PraktikantInnen eingestellt. Obwohl sie die gleiche Arbeit wie ihre erwachsenen KollegInnen verrichten, bekommen sie keinen Arbeitsvertrag und nur ein Drittel des Lohnes, 36 Cent pro Stunde.„Wenn die Fabrikskontrolleure überraschend kommen, verstecken unsere Vorarbeiter die minderjährigen Arbeiterinnen und Arbeiter am Dachboden oder in leeren Kisten“ erzählte eine Arbeiterin.

Ausbeutung für die öffentliche Hand
Während diese Art von Ausbeutung für Modetrends schon vielen ein Begriff ist, und KonsumentInnen immer wieder faire Arbeitsbedingungen fordern, ist nur wenig über die Herstellung von Uniformen oder Dienstkleidung bekannt. Ein wichtiger Abnehmer dafür ist die öffentliche Hand, also europäische Gemeinden, Städte und Länder, ihr Budget speist sich aus Steuergeldern. Dass Arbeitsbekleidung in Marokko unter den gleichen unmenschlichen Arbeitsbedingungen produziert wird, haben Naima Naim und Lamyae Assouz vom marokkanischen Verein für Frauenrechte Attawassol im Zuge der Recherche für den Bericht herausgefunden. Sie fordern: „Die erste Priorität für die öffentliche Hand muss sein, dass bei der Produktion zumindest die nationalen Arbeitsgesetze eingehalten werden, zum Beispiel die Mindestlöhne gezahlt werden und die zulässige Arbeitszeit nicht überschritten wird. Das garantiert zwar noch kein menschenwürdiges Leben, aber es ist ein erster Schritt“. Elisabeth Schinzel, Südwind-Expertin für sozial faire öffentliche Beschaffung ergänzt: „Egal ob für unseren privaten Konsum oder den öffentlichen Einkauf mit Steuergeldern –Beschäftigte in den Produktionsländern haben ein Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen!“

Sozial fairer öffentlicher Einkauf ist möglich
Die öffentliche Hand kann durch politische Beschlüsse und die Einbeziehung von sozialen Kriterien in ihre Ausschreibungen zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen. Dass das möglich ist, beweisen zahlreiche Vorzeigeinitiativen in anderen europäischen Ländern: In den Niederlanden hat das Bekenntnis zu einem 100% nachhaltigen Einkauf viele große und kleinere Arbeitsbekleidungsfirmen dazu gedrängt, ihre Zulieferkette einer unabhängigen Überprüfung zuzuführen und Verantwortung zu übernehmen. Marken wie Firstads, BP, HaVeP, Kansas sind der Fair Wear Foundation beigetreten.
In Schweden wurde nach einem Skandal um die Arbeitsbedingungen, unter denen Krankenhausbekleidung hergestellt wurde, ein mehrstufiges System eingeführt, das Anbieter und ihre Verbesserungsmaßnahmen evaluiert. Auch deutsche Städte wie Dortmund und Bremen setzen soziale Kriterien in ihren Ausschreibungen ein und auf Bundesebene wurde beschlossen, eine Servicestelle für sozial fairen Einkauf einzurichten. In Österreich wird im Rahmen des nationalen Aktionsplans für nachhaltige Beschaffung an der Erarbeitung von Richtlinien zur sozial fairen Beschaffung gearbeitet. Neben VerteterInnen von Ministerien, Ländern und Interessensvertretungen ist auch Südwind in dieser Arbeitsgruppe vertreten. „Es ist zu hoffen, dass Österreich letztendlich mit den Empfehlungen des nationalen Aktionsplans an europäische Vorreiter anschließen wird und Vorgaben gibt, die zu einer wirklichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen und sich nicht mit weniger zufrieden gibt“ schließt Schinzel.

Zum Downloaden:
Bericht „Made in Marokko“
Hintergrundinformationen zu Naima Naim, Lamyae Assouz und Elisabeth Schinzel

Rückfragehinweis:
Elisabeth Schinzel, Südwind
Tel.: 0699 192 474 04
E-Mail: elisabeth.schinzel@suedwind.at

NetWorkWear ist ein Bündnis von sechs Organisationen der Clean Clothes Kampagne in fünf europäischen Ländern. Das Bündnis will dazu beitragen, dass Arbeits- und Menschenrechte von Frauen und Männern, die Arbeitbekleidung für öffentliche Auftraggeber herstellen, geachtet werden. Dieses Projekt wird mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union und des Lebensministeriums durchgeführt. Die hier vertretenen Standpunkte geben die Ansicht von NetWorkWear wieder und stellen somit in keiner Weise die offizielle Meinung der Fördergeber dar.

Südwind setzt sich als entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisation seit über 30 Jahren für eine nachhaltige globale Entwicklung, Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen weltweit ein. Durch schulische und außerschulische Bildungsarbeit, die Herausgabe des Südwind-Magazins und anderer Publikationen thematisiert Südwind in Österreich globale Zusammenhänge und ihre Auswirkungen. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, Kampagnen- und Informationsarbeit engagiert sich Südwind für eine gerechtere Welt.

 

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